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Bücher

Der einzige Ort

Rezensionen

Uta Beiküfner, Berliner Zeitung, 25.7. 2004

Der österreichische Autor Thomas Stangl hat (…) ein wunderbares Debüt vorgelegt. In den zwanziger Jahren machen sich der schottische Major Alexander Gordon Laing und der Franzose René Caillié (…) im Abstand von zwei Jahren auf den Weg in die sagenhafte, noch von keinem Weißen betretene Stadt (Timbuktu) im Herzen Afrikas. "Schwaden der Imagination" durchwehen diesen Ort, Legenden sprechen von seinem Reichtum, Gerüchte ranken sich um den Ruhm seiner Herrscher.( …) Mit der Nacherzählung ihrer Reisen sucht Thomas Stangl nicht die Wahrheit in der Geschichte Afrikas, seiner Eroberung und seiner Überlieferung, er sucht die Wahrheit in den Träumen zweier Afrikareisender, ihren Hoffnungen, ihren Sehnsüchten und ihren Wünschen. Sein Erzähler begibt sich ins Innere der Landschaft und in das Innere seiner Figuren, um auszuschreiten, was diese beiden Afrikareisenden 1826 und 1828 dort erlebt haben, ohne dabei jemals aus dem Blick zu verlieren, was auf die Entdeckung folgte: die Auslöschung von Kulturen, der Genozid ganzer Völker. Im Bericht der beiden Reisenden lauscht der Erzähler den Städten des afrikanischen Kontinents ihre Geschichte ab, er kennt sie aus Legenden, hört sie im Rieseln des Wüstensandes und liest sie im Flug der Vögel. Er setzt sie aus den Briefen Laings zusammen und aus dem Reisetagebuch Cailliés, er findet sie in ihren Träumen wieder und nimmt noch in ihren Fieberhalluzinationen ihr verzerrtes Bild wahr. Es ist das, was sie sehen und was sie fühlen, in der Erschöpfung, im Schmerz, in dem glücklichen Moment ihrer Ankunft. Zeit wird zerdehnt, Orte geweitet. (…) Das Ende dieser Geschichte Afrikas ist der Anfang jener, die heute bekannt ist. Thomas Stangls Roman ist Kritik an der wirklichen und theoretischen Aneignung dieser Orte. Denn das, was heute bekannt ist, entspricht nicht der Geschichte einer alten Kultur, sondern ihrer Auslöschung. Dem anderen Afrika einen Teil seiner Wirklichkeit zurückzugeben, nicht weniger leistet dieses großartige Epos und nicht mehr kann ein historischer Roman heute leisten.