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Bücher

Der einzige Ort

Rezensionen

Andreas Langenbacher, Neue Zürcher Zeitung, 22.4.2004

(…) In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts bewegen sich zwei Reisende auf die von den Europäern immer noch unerreichte, in ihren Vorstellungen eldoradohafte Wüstenstadt zu. Jeder mit der fixen Idee, als Erster lebend mit einem Augenzeugenbericht zurückzukehren. Und mit wichtigen geographischen Daten, welche die aufkommenden kolonialen Begehrlichkeiten auf den weissen Flecken der Landkarten verorten. Beide wollen sie «das Land aufschreiben», wie die Afrikaner diese Tätigkeit treffend nannten. Und für beide, so zeigt uns der kongenial mit- und weiterschreibende Autor, wird dieser Wunsch zur individuellen Obsession und schliesslich zur transzendentalen Idee, in welcher Literatur und Leben, Fakten und Fiktionen konvergieren. Mit seiner Roman- Expedition ins Innere Afrikas ist Thomas Stangl eine schonungslose Innenansicht des europäischen Exotismus gelungen, jenes privaten Wahnes, der sich zugleich als Praxis des aufkommenden Kolonialismus erweist. Im Sog der Lektüre lässt er uns aber mehr und mehr verstehen, dass die Obsession, den Ort des phantasierten Glücks schreibend als Referenzpunkt einzustreichen, zum Wahn und zum existenziellen Exotismus jedes ernsthaften schriftstellerischen Unternehmens gehört. So erweist sich Timbuktu, «der einzige Ort», schliesslich auch als Synonym für das, was Literatur an innerer und äusserer Realität zu erreichen, mit Worten unmittelbar zu bezeichnen versucht - und doch immer nur als nachträgliche Gegenwart erschafft. Als fernes Echo, Sirenengesang aus einem längst ausgetrockneten Brunnenschacht.